Eurozentrismus
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Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Die westlichen Kulturen dienen hierbei als Bewertungsmaßstab in den Wissenschaften und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert. Trotzdem ist der Eurozentrismus nicht als ein europäischer Diskurs zu verstehen, sondern er umfasst die gesamte als westlich wahrgenommene Welt und schließt ebenso die Annahmen über den Westen von nichtwestlichen Kulturen mit ein. Den Diskurs über den Eurozentrismus verstehen zu wollen, macht eine Analyse und ein Verständnis der globalen Herrschaftsverhältnisse somit unabdingbar. Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert. Mit dem Begriff des Eurozentrismus hat sich eine kritische Strömung herausgebildet, die Skepsis an den europäischen Wissenschaften äußert.
Theorien und Definitionsansätze
Ernest Jouhy versucht den Eurozentrismus als eine „konstitutive Geokultur“ zu fassen, welche die moderne Welt in den Sozial- und Kulturwissenschaften nachhaltig durchzieht. Die nichtwestlichen Gesellschaften sind im Gegensatz zu den westlichen Gesellschaften mit einer „Sprache des Mangels“ ausgestattet und werden als fehlerhaft betrachtet.
In der Definition von Samir Amin umfasst der Eurozentrismus ein kulturalistisches Phänomen, welches die Existenz von unumkehrbaren kulturellen Invarianten annimmt und dadurch den historischen Werdegang bestimmter Menschen formt. In seinen Augen ist der Eurozentrismus anti– universalistisch, obwohl dieser vorgibt universalistisch zu sein und allgemeingültige Regeln und Normen zu setzten, durch die das Modell der europäischen Zivilisation als die Lösung für alle Herausforderungen und Problemkonstellationen der modernen Welt fungiert. Das Paradigma des Eurozentrismus erscheint nach Amin oftmals als wissenschaftlich erwiesen und mit dem gesunden Menschenverstand (common sense) einfach zu erkennen. Mit Gottfried Mergner versteht ein Theoretiker den Eurozentrismus als ein Ergebnis der widersprüchlichen Existenz des Menschen in linearen Gesellschaften. Auf der einen Seite steht der Mensch auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung auf dem er seine Arbeitskraft verkauft um Güter zu konsumieren und seine Wertschätzung zu erhalten. Auf der anderen Seite will der Mensch als Individuum sich selbst verwirklichen und als Mensch um seiner selbst willen geliebt werden. Die linearen Gesellschaftsdiskurse die zu seinem individuellen Lebensplan im Gegensatz stehen, erzwingen ein neurotisches und eurozentrisches Verhalten. In Mergners Augen bestimmen die Menschen ihren eigenen Wert durch die Konstruktionen von abstrakten und negativen „Wir“ und „Ihr“ Beziehungen. Dadurch könne eine einfache Distanzierung, Abwertung und Absonderung der jeweiligen Gruppen untereinander entstehen, die durch die Gewalt der europäischen Expansionsgeschichte geprägt wurde und die kommunikative Abgrenzung von Europa zum Rest der Welt vereinfachen könne.
Ella Shohat und Robert Stam beschrieben den Diskurs über den Eurozentrismus als komplex, widersprüchlich und historisch instabil. In jenem Diskurs würde die Welt aufgeteilt in „West und Rest“. Der westlichen Welt komme damit die einzige Quelle an Bedeutung zu und ihr würde somit eine historische Bestimmung zugesprochen. In ihren Augen werde Europa nicht nur geschichtlich, sondern auch kartographisch zentralisiert und als Maßstab angesetzt. Der Osten hingegen werde in der europäischen Betrachtung in drei Teile aufgeteilt. 1. Naher Osten, 2. Mittlerer Osten, 3. Ferner Osten. Auch hier findet sich ein deutlicher Verweis auf die sprachliche Hierarchie des Westens gegenüber dem Osten. „unsere Nation“ vs. „Ihr Stamm“, „Unsere Verteidigung“ vs. Ihr Terrorismus. Der Eurozentrismus habe durch die Jahre hinweg eine allgemeine Akzeptanz gefunden (auch hier findet sich wieder der Begriff vom common sense), dass er vollkommen politisch neutralisiert wurde und unbemerkt bleiben konnte. Der Diskurs über den Kolonialismus sowie der über den Eurozentrismus hängen für die beiden Theoretiker eng miteinander zusammen. Jedoch werfen sie der europäischen Geschichtsschreibung vor, mit dem Diskurs über den Kolonialismus, die kolonialen Herrschaftsstrukturen zu rechtfertigen, wohingegen der Eurozentrismus als Status quo akzeptiert bleibt. Sanchita Basu geht davon aus, dass der Eurozentrismus zu der Zeit der Aufklärung im wissenschaftlichen sowie im philosophischen Diskurs seinen Nährboden fand. Die Industrialisierungs- und Modernisierungsprozesse veränderten das Verhältnis von Mensch und Natur unwiderruflich. Dadurch setzte sich die Überzeugung durch, dass der Mensch als ein von Vernunft geleitetes Wesen durch das Prinzip der Rationalität durchdrungen sei. Die Menschen wurden in dieser Zeit ihrer Natürlichkeit beraubt. Durch die Ausbeutung der Kolonien entstand die Industrialisierung. Gleichfalls festigte sich somit das europäische Menschenbild und ein damit verbundener Überlegenheitsgedanke. Samir Amin schreibt dazu, dass bereits in der Renaissance eine radikale Verwandlung der Welt sich vollzogen hat. Erstens die Entstehung der kapitalistischen Gesellschaft in Europa, zum Zweiten Europas Eroberung der Welt. Die Welt wurde somit zunehmend durch die Regeln des kapitalistischen Systems geeint und die Europäer werden sich im Laufe der Zeit der Tatsache bewusst, dass sie die Welt mit ihrer Zivilisation erobern könnten. Dadurch findet der Überlegenheitsgedanke immer mehr Nährboden. Trotzdem glaubten die Menschen damals mehr an ihre Überlegenheit als Ausdruck ihres christlichen Glaubens oder der europäischen Wiederentdeckung der griechischen Antike. Europäer zeichnen die ersten korrekten Karten der Welt, wissen um all die Völker, die sie bewohnen und sind sich gewiss, dass sie jeden besiegen und alles erobern können. Von diesem Moment an kristallisiert sich der Eurozentrismus heraus. Mit dem Begriff des Orientalismus ist seit den späten 1970er Jahren eine Bezeichnung gemeint, die ein Konzept umkreist, dass seit dem 19.Jahrhundert dazu beigetragen hat, wie die westlichen Kulturen über „den Orient“ sprechen und denken. Der Literaturwissenschaftler Edward Said hat diesen Begriff geprägt und darauf verwiesen, dass die Konstrukte des Orients durch die westliche Wissenschaft eurozentrisch verfasst bleiben und sich zahlreicher, vorgefasster und reduktionistischer Anschauungen bedienen. Formen des Orientalismus lassen sich nach Said in europäischer Literatur und Kunst finden, wodurch sich eine Identitätsbildung des Westens manifestieren konnte. Auf ideologisch – politischer Ebene sieht Said im Orientalismus eine Möglichkeit zur Legitimierung sowie Begründung imperialistischer Tendenzen.
Manifestationen des Eurozentrismus im Alltag
Auch heute ist das Weltbild vieler Menschen eurozentrisch geprägt. Die, in vielen Fällen unterbewusste Denk- und Urteilsweise, spiegelt sich dabei in einer Menge alltäglicher Gegenstände wider. Bereits bei den für die Allgemeinbildung konzipierten Lehrplänen von Schulen finden sich etliche Muster die auf einer eurozentrischen Sichtweise basieren, und diese weitertragen. Beispiele hierfür finden sich in unterschiedlichsten Fachbereichen. So gehören zum Kanon der bearbeiteten Literatur oft nur europäische Schriftsteller wie Shakespeare oder Kafka, weniger aber Literaten aus anderen Teilen der Welt. Auch das Fach Geographie trägt viele Modelle einer europäischen Sichtweise an die Schüler. Hierzu gehören Begriffe wie „Industrieland“, mit dem die Länder Europas, die Staaten Nordamerikas, Japan, Australien und Neuseeland betitelt und als fortschrittlich in wirtschaftlichen, politischen und sozialen Aspekten charakterisiert werden. Im Kontrast zu diesen Ländern stehen „Entwicklungsstaaten“, zu denen viele Länder Afrikas, Südamerikas und Asiens zählen, und in einem Vergleich zu den Industrieländern als weniger entwickelt in den vorherig genannten Aspekten gelten. Mit diesem Vergleich wird eine Sichtweise wiedergespiegelt, in der Europa als Vorreiter gilt, dem andere Länder nachstreben. Ein weiterer eurozentrischer Ansatz, dem Schüler in Geographie als auch im Politik Unterricht begegnen sind die geographischen Zuordnungen „Naher Osten“, „Mittlerer Osten“, sowie „Ferner Osten“, die aus einem europäischen Blick auf die Welt hervorgegangen sind. Tritt man von dem den jungen Menschen vermittelten Allgemeinwissen weg, findet man auch im Alltag etliche, aus einem eurozentrischen Denkansatz entstandene Inhalte. Hierzu kann als ein Beispiel für das mediale Auftreten des Eurozentrismus das Phänomen der kulturellen Aneignung betrachtet werden. Dabei bedienen sich Menschen, meist aus westlichen Ländern, einzelnen Elementen einer ihnen fremden Kultur und machen sie sich, beispielsweise in Mode, zu eigen. Durch das fehlende Hintergrundwissen zu der kulturellen Bedeutung vieler Objekte trägt eine solche Handlung meist zu der Entstehung eines stark vereinfachten Bildes der fremden Kultur bei, auf dem basierend geurteilt wird.
Kritikpunkte
Insbesondere postkoloniale und poststrukturelle Autoren aus Asien, Afrika und dem islamisch-geprägten Raum kritisieren den modernen Eurozentrismus und fordern eine stärkere Inklusion nicht-westlicher Kulturen in allen Bereichen. Von manchen Seiten wird der Eurozentrismus als Sonderform des Ethnozentrismus betrachtet, bedingt durch die koloniale, missionierende Vergangenheit sowie starke wirtschaftliche Rolle europäischer Staaten. Eurozentristische Ansätze werden als universell anwendbar oder als Maßsstab im jeweiligen Bereich angesehen und auf andere Kulturen übertragen. Somit birgt eine eurozentristische Perspektive gleichzeitig einen postkolonialen Aspekt. Perspektiven anderer Kulturräume werden nicht beachtet oder berücksichtigt. Insbesondere Kritiker wie Samir Amin sehen den modernen Eurozentrismus als ein Mittel zur indirekten, sublimeren Herrschaftssicherung des Westens, welcher nun auf der kulturellen, ökonomischen oder politischen Ebene ausgeführt wird. Beispielhaft wäre die in Frankreich entworfene und später global übertragene Menschenrechtserklärung, die ohne Anpassung an alle nicht-westlichen Kulturräume und Traditionen von der UN übernommen seien. In dieser Handlung sehe man die Meinung, nicht-westliche Kulturräume besäßen keine oder unzureichende Vorstellungen von Menschenrechten beziehungsweise dass ein Diskurs gar nicht erst notwendig sei da man sich keine anderen Formen vorstellen könne.
Durch deren Dominanz in den global konsumierten Medien drängen westliche Kulturaspekte bis in den Alltag von Menschen auf der ganzen Welt hinein, während nicht-westliche Kulturen wiederum nur sehr schwer Anerkennung finden. Dieser mangelnde Kontakt mit nicht-westlichem in Medien verstärke nur die Unterscheidung zwischen dem Bekannten und dem Fremden; Behandlungen von nicht-westlichen Kulturen tragen oft einen exotisierenden Charakter. Durch die positive, allgegenwärtige Darstellung des Westens wird dessen Überlegenheit impliziert
Dies geht in die Einstellung, der Eurozentrismus sei gleichzeitig eine Form des (absichtlichen) kulturellen Relativismus über. Eine rationale, wissenschaftsorientierte Perspektive sowie ein Privileg zur Geschichtsschreibung sei ausschließlich dem Westen vorbehalten.
Eine eurozentristische Weltanschauung muss nicht zwangsläufig mit Rassismus oder Nationalismus korrelieren.
Quellen
Amin, Samir(1989): Eurocentrism, New York. Basu, Sanchita(Hg.) (1999): Eurozentrismus: was gut ist, setzt sich durch? Beiträge zur Kritik einer die Welt beherrschenden Denk- und Handlungsweise, Frankfurt.
Conrad, Sebastian/Randeira, Shalini(Hg) (2002): Jenseits des Eurozentrismus: Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt.
Said, Edward W. (2003): Orientalism, London.
Shoat, Ella (1996): Unthinking Eurocentrism: Multiculturalism and the media, London. Wallerstein, Immanuel (1997): Eurocentrism and its Avatars: The Dilemmas of Social Science, in: New Left Review, Heft 226, S. 93-108.
Industrie- und Entwicklungsländer, Geohilfe, http://geohilfe.de/humangeographie/bevoelkerungsgeographie/definitionen-bevolkerungsgeographie/industrie-und-entwicklungslaender-unterscheidung-definition/ (Entnahmedatum: 09.07.2019)
Lektüre-Empfehlungsliste für das Gymnasium, Landesbildungsserver Baden-Württemberg, https://www.schule-bw.de/faecher-und-schularten/sprachen-und-literatur/deutsch/unterrichtseinheiten/prosa/lektuereliste/lektuereliste.pdf (Entnahmedatum: 10.07.2019)
Kulturelle Aneignung, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelle_Aneignung, (Entnahmedatum: 05.07.2019)